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Ludwig Renn - Krieg (1928)
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Vormarsch

Vorbereitungen

Ich war am Tage der Mobilmachung Gefreiter geworden. Zu meiner Mutter hatte ich nicht mehr fahren können und hatte ihr Abschiedsgrüße geschrieben. Am Tage des Ausmarsches bekam ich ihre Antwort.
„Mein Junge! Bleibe treu und halte Dich recht, das ist alles, was ich Dir schreiben kann. Wir haben hier sehr zu tun. Dein Bruder ist auch eingezogen, und wir beiden Frauen müssen alles allein machen. Mit den Enkeln ist noch nicht zu rechnen. Ich schicke Dir ein Paar warme Socken mit.
Leb wohl!
Deine Mutter."
Ich steckte den Brief in meine Brieftasche und ging in die Kantine, mir noch etwas Briefpapier zu holen. Leute liefen auf den Gängen. In der Kantine standen sie vor dem Schanktisch.
„Du, Ludwig!" Ziesche schob mir grinsend ein Schnapsglas hin.
„Auf den ersten Russen!" Ich stieß mit Ziesche an.
Max Domsky, die „Perle", saß auf einem Tisch und baumelte mit den Beinen. Er sah einen nach dem andern an und freute sich.
Im Hintergrund hielt ein bärtiger, dicker Gefreiter eine Rede: „Die sollen sehn, was deutsche Hiebe sind, die Hunde!" Es stieß ihm auf. „Ich kenne das Gelichter! - Ich war nicht umsonst drei Jahre in Paris! - Wenn nur ein deutscher Landstürmer kommt, laufen sie schon davon!"
Ich hatte das Briefpapier gekauft und ging hinaus. Die Perle kam mir nachgelaufen. Ich sah ihn nicht einmal an.
„Freust du dich nicht?" fragte er.
„Doch!" sagte ich frostig.
„Du bist nicht unten geblieben?"
„Ich kann das Gerede nicht leiden!"
Er schwieg. Ich merkte, dass er mir etwas sagen wollte.
Als wir in unserer Stube waren, setzte ich mich auf einen Schemel und fragte: „Nu, was hast du denn?"
Er setzte sich an den Tisch und sah mich an, als erwartete er etwas von mir. Meine Frage schien ihm gar keine Frage gewesen zu sein.
„Fürchtest du dich vor dem Kriege?" fragte ich.
„Die freuen sich doch alle."
Ich dachte nach. Sicher hing das, was ihn gerade beschäftigte, mit dem Kriege und der Todesgefahr zusammen. „Ludwig!"
Ich erschrak. Er hatte mich noch nie Ludwig genannt.
„Ich habe keinen Vater." Er sagte das, wie jemand ein Stück Brot hinlegt. Was sollte ich damit tun? - Ihm die Hand geben? - Dieser Mensch war gar nicht rührselig.
„Max", sagte ich, „du hast aber einen Bruder!" Ich schämte mich.
Er sah mich ganz ruhig an. Er hatte mich verstanden! Und dabei verstand er sonst oft die einfachsten Dinge nicht.
Er zeigte keinerlei Freude. Sagte auch nichts, sondern machte sich fertig zum Antreten. Ich nahm den schweren Tornister auf den Rücken. Ich erwartete auch von ihm nichts mehr. Einige kamen hereingepoltert. Ich ging noch einmal auf den Abort und dann die Treppe hinunter zum Antreten. Ich hatte das Gefühl, dass meine Augen ganz außer mir umhersähen, während ich selber ganz in mir war. Meine Beine bewegten sich, das Gepäck war schwer, aber das hatte mit mir nichts zu tun.



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