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John Dos Passos - Drei Soldaten (1921)
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ERSTER TEIL

Die Form wird gegossen

1

Die Kompanie war aufmarschiert, jeder einzelne Mann sah geradeaus vor sich auf den leeren Paradeplatz, wo die aufgeschüttete Koksschlacke vom Rot des Abends überleuchtet wurde. Der Wind, der den Geruch von Baracken und Krankenhäusern mit sich trug, schmeckte leicht nach dem Fett der Feldküche. Auf der anderen Seite des weiten Feldes schoben sich lange Linien von Männern langsam in eine schmale hölzerne Baracke, die als Speiseraum diente. Das Kinn angelegt, die Brust heraus, die Beine zuckend und ermüdet vom Nachmittagsexerzieren, stand die Kompanie in Reih und Glied. Sie starrten alle geradeaus, mit vagen, resignierenden Blicken; manche versuchten, sich zu unterhalten, indem sie jeden Gegenstand in ihrem Gesichtsfeld sozusagen mit den Augen notierten —: die ausglühenden Aschehaufen, die langen Schatten der Baracken und Speisehäuser, wo man die Leute herumstehen sah, spuckend, rauchend, sich an aufgestellte Wände lehnend. Es war so still, dass man die Taschenuhren ticken hören konnte.
Irgendeiner bewegte sich und machte mit seinen Füßen ein knirschendes Geräusch auf dem Aschegrund.
Die Stimme des Sergeanten bellte: «Stillgestanden! Reißt die Knochen zusammen!»
Die Leute, die dem Sergeanten am nächsten standen, sahen ihn aus den Augenwinkeln heraus an.
Zwei Offiziere, ganz weit draußen auf dem Paradeplatz, näherten sich. Ihre Gesten und Bewegungen zeigten den aufmarschierten Soldaten schon von weitem, dass sie über irgend etwas sehr Amüsantes sprachen. Einer der Offiziere lachte kindisch, drehte sich um und ging langsam zurück über den Paradeplatz, Der andere, der Leutnant, kam lächelnd näher. Wie er vor der Kompanie stand, verließ das Lächeln seine Lippen; er schob das Kinn vor und machte seine Schritte schwer und hart.
«Sergeant, Sie können die Kompanie abtreten lassen.»
Die Stimme des Leutnants brach mit einem harten Stakkato ab.
Des Sergeanten Hand erhob sich zum Gruß, wie das Haltesignal eines Zuges.
«Kompanie... abtreten!» sang es aus ihm heraus.
Die aufmarschierte Linie der Soldaten in Khaki löste sich in eine Masse verschiedener Individuen mit staubigen Schuhen und staubigen Gesichtern auf. Zehn Minuten später schwenkten sie ab und marschierten in Gliedern zu je vieren zum Essen. Einige rote Reihen elektrischer Birnen warfen ein trübes Licht durch den Staub in die bräunliche Dunkelheit; die langen Tische und Bänke strömten einen unbestimmten Geruch von Abfall aus, der sich mit dem Geruch der Desinfektionsmittel, mit denen man die Tische nach der letzten Mahlzeit abgewaschen hatte, zu einer unangenehmen Mischung vereinigte. Die Soldaten, die ihre ovalen Essnäpfe vor sich hielten, standen in langen Reihen an den großen Zinkbalken der Tür, aus der in regelmäßigen Abständen von einem schweißtriefenden Kompaniekoch in blauem Kittel Fleisch und Kartoffeln in die Teller hineingespritzt wurden.
«Mach heut Nacht nich son böses Gesicht», sagte Fuselli zu dem Manne ihm gegenüber und krempelte sich die Ärmel auf, während er sich über das dampfende Essen beugte. Er war ein strammer Bursche mit krausem Haar und breiten Lippen, die er hungrig beim Essen mit der Zunge beleckte.
«Lass doch», sagte der rosige, blondhaarige Jüngling ihm gegenüber, der seinen breitrandigen Hut mit einer gewissen Lebhaftigkeit schief auf der einen Seite des Kopfes trug.
«Ich habe einen Urlaubschein für heute», sagte Fuselli und warf seinen Kopf stolz empor.
«Du willst dich wohl mal richtig amüsieren?»
«Mensch... ich habe ein Mädchen zu Hause, hinten in Frisco (Anm.: Amerikanische Abkürzung für San Francisco.), ein gutes Kind.»
«Hast recht. Man darf sich mit den Mädels in dieser gottverfluchten Stadt nicht einlassen... sind alle nicht sauber... Das heißt, wenn man über See gehen will.» Der blondhaarige Jüngling beugte sich voll Ernst über den Tisch.
«Ich will mir noch was zum Fressen holen. Warte auf mich», sagte Fuselli.
«Was willst du in der Stadt anfangen?» fragte der Blondhaarige, als Fuselli zurückkam.
«Weiß nicht — bisschen rumgehen und mal in ein Kino schauen», antwortete der und füllte seinen Mund mit einer dicken Kartoffel.
«Donnerwetter, jetzt ist's aber Zeit, sich hier zu verziehen», hörten sie eine Stimme hinter sich.
Fuselli stopfte sich den Mund schnell noch so voll, wie es eben nur ging und warf den Rest seines Essens widerwillig in einen Abfalleimer.
Einige Augenblicke später stand er stramm in einer Khakireihe, die genauso aussah, wie die hundert anderen Khakireihen, die den ganzen Paradeplatz füllten; das Signalhorn am anderen Ende, wo die Fahnen aufgestellt waren, tönte laut. Irgendwie erinnerte es ihn an den Mann hinter dem Schreibtisch im Anwerbebüro, der damals, als er ihm die Marschpapiere aushändigte, gesagt hatte: «Ich wünschte, ich könnte mit Ihnen gehen» — und der eine weiße, knochige Hand hinhielt, die Fuselli nach kurzem Zögern in seine eigene braune Tatze genommen hatte. Der Mann hatte voller Begeisterung zugefügt: «Es muss großartig, wirklich großartig sein, die Gefahr zu fühlen, die Möglichkeit, jeden Augenblick sein Leben zu verlieren! Viel Glück, mein Lieber! Viel Glück!» — Fuselli erinnerte sich recht unangenehm an das papierweiße Gesicht und an den grünlichen Schein seines kahlen Kopfes; aber die Worte, diese schönen Worte, hatten ihm die Brust schwellen lassen, und als er das Lokal verließ, hatte er sich wie eine harte Bürste an einer Gruppe von Männern vorbei durch die Tür hinausgeschoben. Sogar jetzt noch gab ihm die Erinnerung, die mit den Klängen der Nationalhymne in ihm aufwuchs, ein Gefühl von Wichtigkeit und Bedeutung.
«Rechts... schwenkt! Marsch!» kam ein Befehl. Knirsch... ging es durch den Kies. Knirsch... Die Kompanie marschierte zurück zu ihren Baracken. Er wollte lächeln, aber er wagte es nicht. Er wollte lächeln, weil er bis Mitternacht Urlaub hatte, weil er in zehn Minuten außerhalb des Gitters sein würde, außerhalb des grünen Walles und der Wachen, außerhalb des strengen elektrischen Drahtes. — Knirsch... knirsch... knirsch: oh, wie waren sie langsam beim Rückmarsch zu den Baracken, und man verlor so viel Zeit, kostbare, freie Minuten! «Hopp, hopp, hopp!» schrie der Sergeant und starrte mit seinem aufreizenden Bulldoggenausdruck auf dem Gesicht gerade immer dorthin, wo irgendeiner aus dem Schritt gekommen war.
Die Kompanie stand stramm. Fuselli biss sich auf die Lippen vor Ungeduld. Die Minuten vergingen schleppend. Endlich, als ob es ihm leid tue, grölte der Sergeant: «Kompanie... abtreten!»
Fuselli eilte zum Tor und schwang seine Schritte in prahlender Bewegung.
Schon war er auf dem Asphalt der Straße; er sah die lange Reihe der gepflegten Rasen und Terrassen hinunter; violette Bogenlampen, die von ihren eisernen Stielen herunter dicht über den kürzlich gepflanzten Bäumen der Straße hingen, durchströmten schon mit ihrem Licht die schwache Dämmerung.
Er stand an der Ecke, schwerfällig gegen einen Telegraphenmast gelehnt, der an der Bretterwand des Feldlagers, von drei großen Strängen elektrischen Drahtes durchzogen, aufgerichtet war; er fragte sich, welchen Weg er einschlagen solle. Diese Stadt war die Hölle, und er hatte früher gedacht, dass er herumreisen und die Welt sehen werde. — «Nach dieser Geschichte wird es zu Hause gut genug sein», murmelte er; dann ging er die lange Straße nach dem Zentrum der Stadt hinunter, wo das Kino war. Er dachte an seine Heimat, an die dunkle Wohnung in der ersten Etage eines siebenstöckigen Hauses, wo seine Tante lebte. «Hm, die kocht fein», brummte er voll Bedauern.
An einem warmen Abend wie diesem, da musste man sich an der Ecke aufhalten, wo die Drogerie war, mit Leuten, die man kannte, schwatzen, die Mädels anrufen, die Arm in Arm zu zweien oder dreien vorübergingen und taten, als sähen sie nicht die Blicke, die ihnen folgten. Oder noch besser: mit Al ausgehen, der in irgendeinem optischen Geschäft arbeitete, durch die lichterstarrenden Straßen des Theater- und Cafeviertels oder an den Werften und Fährbooten entlang, sich dort niederlassen,
rauchen, über den dunklen, purpurfarbenen Hafen mit seinen winkenden Lichtern hinausschauen vorbei an den fahrenden Schiffen, die aus ihren viereckigen, rotglühenden Luken heraus glänzende Reflexe auf das Wasser schütteten. Wenn sie besonderes Glück hatten, sahen sie einen Kreuzer durch das «Goldene Tor» hereinkommen, der von einem vagen Lichtfleck sich zu einem ungeheuren, beweglichen Lichterglanz vergrößerte, wie die Front eines erstklassigen Theaters, das über den Fährbooten wie ein Turm aufwuchs. Oft konnte man das Klatschen der Schraube im Wasser hören und das Zischen, wenn ihre Kanten das ruhige Wasser des Meerbusens schnitten und die fernen Töne einer spielenden Kapelle, die abwechselnd schwach und stark herüberkamen. «Wenn ich mal reich bin», hatte Fuselli oft zu Al gesagt, «werde ich eine Reise auf einem dieser Kreuzer machen.»
«Dein Oller ist wohl aus dem alten Land herübergekommen?» fragte der andere dann.
«Ja, er kam als Zwischendeckpassagier. Ich würde zu Hause bleiben, müsste ich das tun. Mensch, erster Klasse für mich, Luxuskabine, wenn ich reisen werde.»
Aber jetzt war er in dieser östlichen Stadt, wo er niemand kannte und wo man nirgendhin als ins Kino gehen konnte.
«Hallo, alter Junge», sagte eine Stimme neben ihm. Der große Jüngling, der beim Essen ihm gegenüber gesessen hatte, holte ihn gerade ein: «Du gehst ins Kino?»
«Jaaa, weiß nicht, was man sonst tun soll.»
«Das ist ein Neuer. Gerade heute morgen angekommen», sagte der große Jüngling und wies mit dem Kopfe auf den Mann hin, der neben ihm ging.
«Ich erzählte ihm gerade», sagte der andere, «er solle vorsichtig sein, wie in der Hölle und keine Dummheiten machen. Wenn man einmal in diesem gottverdammten Heer eine Dummheit macht, dann ist's die Hölle. Darauf kannst du dich verlassen ... Dich haben sie also in unsere Kompanie gesteckt? Die ist nicht so schlimm. Der Sergeant ist so was wie ein anständiger Kerl, wenn man keine Dummheiten macht. Aber der Leutnant, das ist ein Aas... Wo bist du zu Hause?»
«New York», sagte der Neuangekommene, ein kleiner, ungefähr dreißigjähriger Mann mit aschigem Gesicht und einer glänzenden jüdischen Nase. «Ich arbeitete dort in der Konfektion. Eigentlich sollte ich überhaupt nicht eingezogen werden, das ist eine Schande. Ich bin lungenkrank.» Er stieß die Worte mit seiner schwachen, kreischigen Stimme heraus.
«Die werden dich schon in Ordnung bringen, hab nur keine Sorge», sagte der große junge Mann. «Die werden dich so verdammt gesund machen, dass du dich selbst nicht mehr kennst. Deine eigene Mutter würde dich nicht erkennen, wenn du nach Hause kommst. Übrigens hast du Glück.»
«Wieso?»
«Du kommst von New York. Der Korporal, Timm Sides, kommt auch von dort her, und alle Leute aus New York haben es gut bei ihm.»
«Was für Zigaretten rauchst du?» fragte Fuselli. «Ich rauche nicht.»
«Dann wirst du's lernen müssen. Der Korporal liebt von Zeit zu Zeit eine nette Zigarette, und der Sergeant auch. Man muss ihnen ab und zu einige in die Tasche rutschen lassen. Kann einem viel helfen.»
«Taugt nichts», sagte Fuselli, «man muss Schwein haben. Sorge dafür, dass du anständig aussiehst und immer lachst. Dann ist alles in Ordnung. Und wenn sie anfangen, auf dir rumzureiten, lass dir nichts gefallen. Man muss in dieser Armee hartgesotten sein, um vorwärts zu kommen.»
«Das ist verdammt richtig», sagte der große junge Mann, «lass sie nicht auf dir rumreiten... Wie ist dem Name?»
«Eisenstein.»
«Dieser Mann heißt Powers — Bill Powers, ich Fuselli. Gehst du ins Kino, Eisenstein?»
«Nein, ich suche mir was Weibliches.» Der kleine Mann blinzelte matt. «Bin froh, Anschluss gefunden zu haben.»
«Gottverdammter Jude», sagte Powers, als Eisenstein durch eine Seitenstraße abging, die wie die Hauptstraße mit jungen Bäumen bepflanzt war, von denen kranke Blätter herabhingen. - Der schwache Hauch des Windes, der herüberkam, roch nach Industrie und Kohlenstaub.
«Juden sind nicht immer so schlimm», sagte Fuselli. «Ich habe einen ganz guten Freund, der auch einer ist.»

 

2

Sie verließen das Kino in einem Strom von Menschen.
«Ich war nahe daran, loszuheulen, bei dem Bild von den
Soldaten, der Abschied von seinem Mädchen nahm, um in den Krieg zu ziehen», sagte Fuselli. «So?»
«Es war gerade so bei mir. — Schon mal in Frisco gewesen, Powers?»
Der große junge Mann schüttelte den Kopf, dann nahm er seinen breitrandigen Hut ab und ließ seine Finger über seinen dicken Schädel gleiten.
«Donnerwetter, hier war's heiß», murmelte er.
«Nun, so ist's», sagte Fuselli. «Man muss die Fähre nach Oakland nehmen. Meine Tante... du weißt, 'ne Mutter habe ich nicht, ich wohne immer bei der Tante... meine Tante und ihre Schwägerin un' Mabe... Mabe ist mein Schatz... die kamen alle rüber auf dem Ferryboot, und ich hatte ihnen doch gesagt, dass ich das nich wolle. Un' Mabe sagte, sie sei mir böse, weil sie den Brief, den ich an Georgine Slater schrieb, gesehen hatte. Die war 'ne ganz Tolle, wohnt in unserer Straße, und war eben daran gewöhnt, Liebesbriefe zu bekommen. Und ich sagte dauernd zu Mabe, dass ich's tat, weil ich's eben tat, zum Teufel, und dass ich mir gar nichts dabei dachte! Und Mabe sagte, sie würde mir nie verzeihen. Und dann sagte ich, vielleicht werde ich fallen, und sie wird mich nie wiedersehen, un' dann fingen wir alle zu heulen an. Das war 'ne Geschichte...»
«Verteufelt schwer, seinem Schatz adieu sagen», meinte Powers und nickte verständnisvoll. «Reißt einen ganz entzwei. Ich denke, besser sich an die Straßenmädchen halten, denen braucht man wenigstens nicht adieu sagen.»
«Bist du schon mal mit so einer gegangen?»
«Das nicht», gab der große junge Mann zu und wurde über und über rot, so dass man es sogar unter dem fahlen Licht der Bogenlampen der Hauptstraße, die zum Lager zurückführte, bemerken konnte.
«Aber ich!» sagte Fuselli mit einem gewissen Stolz. «War mal mit so 'nem portugiesischen Mädchen zusammen. Donnerwetter, die hatte was weg. Ich habe das alles aufgegeben, seitdem ich verlobt bin, obschon... Aber ich erzählte dir gerade... Na, zum Schluss kam mit Mabe doch alles noch wieder in Ordnung und ich küsste sie un' Mabe sagte, sie werde niemand heiraten außer mir. Da, wie wir die Straße runtergingen, bemerkte ich ein seidenes Fähnchen in einem Schaufenster, und ich sagte zu mir selbst, das gebe ich Mabe, und ich lief hinein un' kaufte es, ganz gleich, was es kostete. Als wir dann alle beim Küssen waren und Heulen beim Abschied, schob ich es in ihre Hand und sagte: behalte das, Mädchen, un' dass du mich nicht vergisst! — Und denk mal an, was sie tat! Eine volle Fünf-Pfund-Schachtel Konfekt gab sie mir und sagte: mach dich nicht krank, Dan. — Sie hatte diese Schachtel die ganze Zeit, ohne dass ich es wusste. Mädchen sind klug!»
«Jaa», sagte der große junge Mann mit unsicherem Blick.
An den Barackenreihen standen, als Fuselli zurückkam, die Kameraden in erregtem Gespräch.
«Das wird einen verdammte Krach geben. Einer ist aus dem Gefängnis ausgebrochen.»
«Was?»
«Wäre froh, wenn ich näheres wüsste.»
«Sergeant Timmons sagte, er habe sich aus seinen Betttüchern ein Seil gemacht.»
«Nee, der Mann auf Wache hat ihm geholfen, fortzukommen.»
«Bestimmt hat er das getan. Ich ging gerade am Wachthaus vorbei, als er 'raus kam...» «Zu welcher Kompanie gehörte er?» «Weiß nich'.» «Wie heißt er?»
«Irgendein Kerl in Untersuchung wegen Ungehorsam, hatte einem Offizier in die Fresse geschlagen.» «Das hätte ich sehen mögen.»
«Trotzdem. Der hat sich ordentlich was eingebrockt.» «Hast recht.»
«Wollt ihr Kerls wohl aufhören zu reden!» donnerte der Sergeant, der mit seiner Zeitung an einem kleinen Schreibtisch bei der Tür der Baracke in dem matten Licht einer sorgfältig umhüllten Lampe saß. «Ihr werdet uns noch den Diensthabenden auf den Hals ziehen!»
Fuselli schlug sich das Betttuch um den Kopf und machte sich schlafbereit. Fest in seine Betttücher eingewickelt, fühlte er sich geborgen vor der donnernden Sergeantenstimme und vor dem Blick kalter Offiziersaugen. Er fühlte sich wohlig und glücklich, wie er sich zu Hause gefühlt hatte, als er noch ein ganz kleiner Junge gewesen war. Für einen Augenblick dachte er an den anderen Mann, der den Offizier ins Gesicht geboxt hatte, vielleicht nur neunzehn Jahre alt, wie er, der vielleicht auch einen Schatz wie Mabe hatte. Es muss entsetzlich kalt und schrecklich sein, außerhalb des Lagers herum zu irren und die Lagerpolizei hinter sich her zu haben. Er sah sich selbst atemlos eine lange Straße hinunter rennen, von einer Kompanie mit Gewehren und Offizieren, deren Augen grausam wie die spitzen Enden der Geschosse stachen, verfolgt. Er zog seine Decke fester um den Kopf und freute sich an der Wärme und Weichheit der Wolle an seiner Wange. — Man darf nicht vergessen, den Sergeanten anzulächeln, wenn man ihm außer Dienst begegnet. Irgendeiner hatte gesagt, es seien bald Beförderungen zu erwarten. Oh, er wollte so gern befördert werden. Fabelhaft wäre das, wenn er Mabe schreiben könnte und ihr mitteilen, ihre Briefe seien an Korporal Dan Fuselli zu adressieren. Man muss noch mehr Acht geben, keine Dummheiten machen. Man muss nie eine Gelegenheit vorbeigehen lassen, um zu zeigen, was für ein braver Kerl man ist, oh, wenn wir über See kommen, werde ich es ihnen zeigen — dachte er glühend und malte sich lange Filmstreifen grandiosesten Heldentums aus. Dann fiel er in Schlaf.
Eine scharfe Stimme neben seiner Schlafkoje weckte ihn mit einem Ruck: «Steh auf, Kerl!»
Der weiße Strahl einer Taschenlaterne fiel auf das Gesicht eines Mannes neben ihm.
«Der Diensthabende», sagte Fuselli zu sich selbst.
«Steh auf, Kerl», kam die scharfe Stimme wieder. Der Mann in der nächsten Schlafkoje rührte sich und öffnete die Augen.
«Steh auf!»
«Zu Befehl», murmelte der Mann und blinzelte schläfrig im Licht der Taschenlaterne. Er stand auf und nahm, noch etwas unsicher, stramme Haltung ein.
«Warum schlafen Sie in Ihrem Taghemd? Ziehen Sie es sofort aus!»
«Zu Befehl.»
«Wie heißen Sie?»
Der Mann sah auf, blinzelte, war zu verwirrt, um zu sprechen.
«Wissen Sie denn Ihren eigenen Namen nicht mehr? Heh?» fragte der Offizier und starrte den Mann voller Wut an. Er schlug mit seiner scharfen Stimme wie mit einer Peitsche zu.
«Ziehen Sie sofort Ihr Hemd aus, und dann zurück ins Bett!»
Der Diensthabende ging weiter und ließ bei seiner mitternächtlichen Inspektion der Baracken das Licht seiner Taschenlaterne von einem Bett auf das andere fallen. Wieder schwere, schwarze Nacht, und die Geräusche der Männer, die im Schlaf tief atmeten. Wie er am Einschlafen war, konnte Fuselli den Mann neben sich fluchen hören, ganz monoton, gleichmäßig, flüsternd, mit kleinen Pausen, um sich neuen Stoff auszudenken, neue Kombinationen von Worten, seine hilflose Wut wegzufluchen, um sich so durch die monotone Wiederholung seiner Flüche in Schlaf zu bringen.
Etwas später wachte Fuselli mit einem erstickten Schrei auf. Er hatte geträumt, dass er dem Diensthabenden ins Gesicht geschlagen habe, und dass er aus dem Gefängnis ausgebrochen sei und nun laufe, endlos, atemlos, stürzend und fallend, während die Wachkompanie ihn eine Straße mit kleinen vertrockneten Bäumen hinunterjagte, immer näher kommend, während die Stimmen hinter ihm metallisch wie das Klicken der Hähne in den Gewehren klangen und Offiziere Befehle hinausschrieen, so dass es sicher schien, gefasst, sicher, erschossen zu werden. Er warf sich hin und her und schüttelte seinen Traum ab wie ein Hund das Wasser von sich abschüttelt. Dann fiel er wieder, in seine Betttücher gehüllt, in Schlaf.
John Andrews stand nackt in der Mitte eines großen, kahlen Zimmers, dessen Wände, Decken und Boden aus ungehobeltem Fichtenholz hergestellt waren. Die Luft war schwer vor Wärme. An einem Pult in der einen Ecke hörte man das krampfhafte Tippen eines Schreibmaschinisten.
«Sagen Sie, junger Mann, buchstabieren Sie doch mal <verrückt>!» John Andrews ging an das Pult hin, buchstabierte das Wort und fügte hinzu: «Wollen Sie mich examinieren?»
Der Mann schrieb auf seiner Maschine weiter, ohne zu antworten.
John Andrews stand mit gekreuzten Armen in der Mitte des Zimmers, teils belustigt und teils auch ärgerlich und schob sein Gewicht von einem Bein aufs andere, horchte auf das Geräusch der Schreibmaschine und auf die Stimme des Mannes, wie der jedes Wort des Berichts, den er abschrieb, vorlas.
«Entlassungsbefehl...» Tip... tip... «verfluchter Maschinenschreiber ... » tip... tip... «diese verfluchten Armeeschreibmaschinisten... »
In diesem Augenblick kam der Rekrutierungssergeant zurück.
«Schau her, wenn du nicht die Abschrift in zehn Minuten fertig haben wirst, wird Hauptmann Arthur wild werden. Mach um Gottes willen schnell. Du willst doch deinen Posten behalten!»
«Hallo!» Die Augen des Sergeanten fielen auf John Andrews: «Fast hätte ich Sie vergessen. Laufen Sie ein wenig im Zimmer herum. Nein, anders 'rum. Nur ein bisschen, dass ich Ihr Herz untersuchen kann, Donnerwetter, diese Rekruten, die haben ja noch ordentlich Fett am Leibe.»
Während er sich so zahm abtasten und abmessen ließ und sich wie ein preisgekröntes Pferd auf einem Jahrmarkt fühlte, hörte John Andrews dem Manne an der Schreibmaschine zu, dessen Stimme monoton weiterging.
«Angesichts ... Bericht über sexuelle... Alkoholismus... Landarbeiter... normale Erscheinung...»
«Ziehen Sie sich wieder an», sagte der Rekrutierungssergeant. «Ein bisschen schnell, ich kann mit Ihnen nicht den ganzen Tag verbringen. Warum hat man Sie denn hier alleine runtergeschickt?»
«Meine Papiere waren nicht in Ordnung», sagte Andrews. «Hier sind noch einige Formalitäten zu erledigen. Kommen Sie rüber.»
Andrews folgte dem Sergeanten an ein Pult in der einen Ecke des Zimmers, von dem aus das Geräusch der Schreibmaschine nur schwach vernehmbar war.
«Nehmen Sie das hier und gehen Sie zu den Baracken B... viertes Gebäude rechts. Aber ein bisschen Tempo», sagte der Rekrutierungssergeant.
Andrews atmete tief auf, als er draußen in die leuchtende Luft kam. Einen Augenblick stand er unentschlossen an der
Holztreppe des Gebäudes und sah die Reihe der schnell aufgebauten Baracken hinunter. Einige waren grün angemalt, andere aus rohen Holzbrettern und wieder andere standen noch als Gerüst herum. Über seinem Kopfe bewegten sich große, rötlich angehauchte Wolkenberge langsam über den unendlichen, offenen Himmel. Sein Blick glitt vom Himmel herunter auf ein paar hohe Bäume, die in herbstlichem Gelb an den Grenzen des Lagers leuchteten und dann auf das Ende der langen Barackenstraße, wo ein Wachgitter war und ein Wachsoldat immer hin und her ging, hin und her.
Er zog für einen Augenblick die Augenbrauen zusammen. Dann ging er, schwankend, nach dem vierten Gebäude rechts.

John Andrews putzte die Fensterscheiben. Er stand in schmutzigem, blauem Kittel auf der Spitze der Leiter und rieb die kleinen Scheiben der Barackenfenster mit einem seifigen Tuche ein. Sein Atem füllte sich mit dem Geruch des Staubes und der sandigen Seife. Ein kleiner Mann mit grauroten Backen folgte ihm tabakspuckend auf der Leiter und polierte die Scheiben mit einem trockenen Tuche, bis sie glänzten und den wolkigen Himmel reflektierten. Andrews Beine waren müde von dem ewigen Leiter Auf- und Absteigen. Seine Hände waren wund von der kiesigen Seife; beim Arbeiten schaute er, ohne zu denken, auf die Reihen der Schlafstellen hinunter, wo die Betttücher alle in derselben Art zurückgelegt waren; auf manchen von ihnen lagen Männer und streckten sich im Zustande äußerster Abspannung. Er sagte immer wieder zu sich selbst, wie seltsam es doch sei, dass er an nichts denke. In den letzten Tagen schien sein Verstand zu einem harten, unbeweglichen Klumpen geworden zu sein.
«Wie lange werden wir dies tun müssen?» fragte er den Mann, der mit ihm arbeitete. Der Mann kaute seinen Tabak weiter, so dass Andrews glaubte, er würde überhaupt nicht antworten. Er wollte gerade wieder zu sprechen anfangen, als der Mann, gedankenvoll auf der Spitze der Leiter balancierend, mit den Worten herauskam:
«Vier Uhr.»
«Wir werden heute also nicht fertig?»
Der Mann schüttelte den Kopf, legte sein Gesicht in Falten und machte eine sonderbare Anstrengung beim Ausspucken.
«Schon lange hier?» «Nicht so sehr lang'.» «Wie lang'?»
«Drei Monate... ist nicht so sehr lange.» Der Mann spie wieder aus und kletterte von seiner Leiter hinunter, um dort zu warten, bis Andrews mit dem Reiben seines Fensters fertig sein werde.
«Ich werde verrückt, wenn ich drei Wochen hier bleibe. Jetzt bin ich eine Woche hier», murmelte Andrews zwischen den Zähnen, kletterte hinunter und stellte seine Leiter an das nächste Fenster.
Dann bestiegen sie wieder ihre Leitern, schweigend. «Warum bist du bei den Reinemachern?» fragte Andrews wieder. «Lunge.»
«Warum entlassen sie dich nicht?» «Werden's wohl bald tun.»
Dann arbeiteten sie weiter, schweigend. Andrews begann am oberen rechten Ende und schmierte jede Scheibe mit Seife ein. Dann kletterte er hinunter und stellte seine Leiter an das nächste Fenster. Manchmal begann er auch in der Mitte, der Abwechslung halber. Beim Arbeiten schob sich plötzlich ein Rhythmus durch den harten Klumpen seines Bewusstseins und machte ihn weich und flüssig. Es drückte sich in diesem Rhythmus die weite, staubige Trägheit aus, die Soldaten, die reihenweise auf dem Exerzierplatz in strammer Haltung warteten, das monotone Stampfen gleichmäßig schreitender Füße, der aus den Bataillonen aufsteigende Staub, die über den Exerzierplatz gingen. Er fühlte, wie der Rhythmus seinen ganzen Körper erfüllte, von seinen wunden Händen bis zu seinen vom Hin-und Hermarschieren ermüdeten Beinen. Sein Bewusstsein begann, ohne dass er es eigentlich beabsichtigte, aus Gewohnheit das Thema auszuarbeiten. Er hörte schon ein ungeheures Orchester, aus dem dieser Rhythmus gewaltig klang. Sein Herz schlug schneller. Er versuchte es in sich festzuhalten und es niederzuschreiben, damit Kapellen es spielen und die Ohren der Massen es hören könnten.
Den ganzen endlosen Nachmittag hindurch arbeitete er, kletterte die Leiter hinauf, herunter, schmierte die Barackenfenster mit dem seifigen Tuche ein. Eine irrsinnige Phrase verdrängte die Bewegung der Musik in seinem Bewusstsein: Arbeit und Rhythmus. Er musste es immer und immer zu sich selbst sagen: Arbeit und Rhythmus. Er versuchte, das Wort aus seinem Bewusstsein zu verjagen, es in dem Rhythmus der Musik, die in ihm gewesen war, zu begraben; die staubige Langeweile, die gewaltsame Bewegung warmer Körper voller Gesten und Hoffnungen und Erwartungen, Körper, die man in steife Formen einpressen wollte wie Zinnsoldaten —: all das ging unter in dem ewig wiederholten Wort: Arbeit und Rhythmus. Es begann ihm grollend in den Ohren zu klingen: Arbeit und Rhythmus — ertränkte alles andere.
Plötzlich aber lachte er laut auf. Es war ja ein deutsches Wort, das er sprach. Man rüstete ihn ja aus, um Männer zu töten, die so sprachen. Hätte ihm jemand das gesagt, würde er ihn töten. Sie würden jeden töten, der diese Sprache redete. Er und alle diese Männer, deren Schritte er über das Exerzierfeld dröhnen hörte, deren Beine man alle gleich lang machte auf diesem Exerzierplatz.

 

3

Es war am Sonnabendmorgen. Von einem Korporal kommandiert, einem säbelbeinigen Italiener, der es trotz der Heeresdiät fertig brachte, immer einen Knoblauchgeruch um sich zu verbreiten, fegten drei Soldaten in blauen Kitteln die Blätter in der Straße zwischen den Baracken zusammen.
«Kerls, ihr seid faul wie die Schweine... in fünfundzwanzig Minuten ist Inspektion hier», sagte der Korporal immer wieder.
Die Soldaten arbeiteten weiter wie die Hunde und gaben nicht acht auf das, was er gesagt hatte.
«Ihr kümmert euch ja gar nicht um das, was ich euch sage! Ich bekomme einen furchtbaren Krach, nicht ihr. Bitte, beeilt euch! Hebt mal schnell diese verfluchten Zigarettenstummel, die hier rumliegen, auf!»
Andrews verzog das Gesicht und begann die kleinen, grauen, schmutzigen Enden ausgebrannter Zigaretten zusammenzulesen. Als er sich hinunterbeugte, sah er in die dunkelbraunen Augen des Soldaten, der neben ihm arbeitete. Die Augen waren vor Wut zusammengezogen, und er sah eine Röte unter den Brauen des knabenhaften Gesichtes.
«Bin nicht in dies Heer gekommen, um mich von einem gottverfluchten Blödian rumkommandieren zu lassen», murmelte der.
«Ist ja ganz gleichgültig, wer dich rumkommandiert. Rumkommandiert wird man doch», sagte Andrews. «Woher kommst du denn?»
«Oh, ich komme aus New York. Meine Leute wohnen in Virginia», sagte Andrews.
«Ich bin aus Indiana... Mach, dass du arbeitest. Der blöde Bastard kommt dort um das Gebäude herum.»
«Hebt sie doch nicht so auf! Kehrt sie aus!» rief der Korporal.
Andrews und der Junge aus Indiana gingen mit einem Besen und einer Schaufel herum und sammelten ausgekaute Tabakstücke, Zigarrenenden und fettige Papierfetzen auf.
«Wie heißt du? Ich heiße Chrisfield. Man nennt mich immer Chris.»
«Ich heiße Andrews, John Andrews.»
«Mein Alter hatte einen Arbeiter namens Andy. Wurde krank und starb vorigen Sommer. Wie lange glaubst du wohl, wird es dauern, bis wir hinübergeschickt werden?»
«Weiß nicht.»
«Ich möchte schon das Land da drüben sehen.» «Wirklich?» «Du denn nicht?» «Aber natürlich.»
«Was steht ihr Kerls hier rum? Macht schnell und leert die Aschenkästen aus!» rief der Korporal und watschelte mit seinen Säbelbeinen umher. Er schaute immer die Barackenreihe hinunter und murmelte: «S'ist Zeit für die Inspektion jetzt. Verflucht ... Diese Zeit will gar nicht vorübergehen.»
Plötzlich erstarrte seine Miene in einem Ausdruck kriechender Unbeweglichkeit. Er brachte seine Hand an den Schirm seiner Kopfbedeckung. Eine Gruppe Offiziere schritt an ihm vorbei in das nächste Gebäude.
John Andrews, der gerade seine Abfalleimer ausgeleert hatte, ging an die rückwärtige Tür der Baracke.
«Achtung!» ertönte es von der anderen Seite. Er machte seinen Hals und seine Arme so steif wie möglich.
Aus den schweigenden Baracken hörte man das harte Aufschlagen der Offiziersstiefel.
Ein bleiches Gesicht mit hohlen Augen und schwerem, quadratischem Kiefer kam John Andrews näher. Er starrte gerade vor sich hin und bemerkte rötliche Haare auf dem Adamsapfel des Offiziers und Zeichen der noch neuen Offizierswürde auf der anderen Seite des Kragens.
«Sergeant, wer ist der Mann?» ertönte es aus dem bleichen Gesicht.
«Weiß nicht, Herr Leutnant, ein neuer Rekrut. Korporal Valori, wer ist der Mann?»
«Sein Name ist Andrews, Sergeant», sagte der italienische Korporal mit unterwürfigem Ton in seiner Stimme.
Der Offizier sprach jetzt Andrews direkt an, schnell und laut:
«Wie lange sind Sie in der Armee?»
«Eine Woche.»
«Wissen Sie nicht, dass Sie jeden Sonnabend um neun sauber rasiert und bereit für die Inspektion sein müssen?» «Ich reinigte gerade die Baracken.»
«Ich werde Ihnen noch klarmachen, dass man nicht antwortet, wenn ein Offizier einen anspricht.»
Der Offizier sprach die Worte mit Sorgfalt, als ob er sich auf ihnen ausruhe. Beim Sprechen schaute er verstohlen auf seinen Vorgesetzten und bemerkte etwas Unwilliges im Gesicht des Majors. Sein Ton verwandelte sich langsam:
«Sollte dies noch einmal vorkommen, können Sie sicher sein, dass disziplinarisch gegen Sie vorgegangen wird... Achtung dort!» Am anderen Ende der Baracke hatte sich ein Mann bewegt. Wieder konnte man in der absoluten Stille den regelmäßigen Schritt der Offiziersstiefel hören.

«Nun, Kerls, alle zusammen!» rief der Mann, der mit weit ausgestreckten Armen vor der Filmleinwand stand. Das Piano begann zu klingen, und der voll gefüllte Raum zusammengedrängter Soldaten grölte:

«Heil, heil, wir sind die Soldaten,
Wir werden uns den Kaiser holen,
Wir werden uns den Kaiser holen,
Wir werden uns den Kaiser holen!»

Die Balken hallten wider von den tiefen Stimmen.
Der Mann ließ aus seinem mageren Gesicht einen befriedigten Ausdruck hervorquellen:
«Noch einmal!» sagte der Mann, «alle zusammen!»
Der Film hatte begonnen. John Andrews sah flüchtig um sich: in das Gesicht des Jungen aus Indiana, der neben ihm saß, auf die braunen Gesichter und kurzgeschorenen Köpfe, die sich aus den khakigekleideten Körpern um ihn erhoben. Manchmal irrten ein Paar Augen ab von dem weißen, flackernden Licht der Filmwand. Wogen von Gelächter oder von Zurufen gingen hin und her. Sie waren ja alle so gleich. In Augenblicken schienen sie nur ein einziger Organismus zu sein. Das war es ja, was er gesucht hatte, als er ins Heer eintrat — sagte er zu sich selbst. Hier wollte er Zuflucht suchen vor dem Schrecken der Welt, der ihn befallen hatte. Empörung, Gedanken, Individualität, die er wie ein Banner über dem Aufruhr getragen hatte, hatten ihn krank gemacht. So war es viel besser, alles geschehen lassen, den verrückten Wunsch nach Musik aus sich heraustreten, sich in den Schlamm allgemeiner Sklaverei hineinducken. Immer noch klirrte die dumpfe Wut über die Stimme des Offiziers an diesem Morgen in ihm: «Sergeant, wer ist der Mann?» der Offizier hatte ihm ins Gesicht gestarrt, wie man vielleicht ein Stück Möbel anstarrt.
«Ist das nicht ein ordentlicher Film?»
Chrisfield wandte sich ihm zu mit einem Lächeln, das die Wut vertrieb und ein angenehmes Gefühl der Kameradschaft in ihm weckte.
«Der nächste Teil ist fein, ich habe ihn schon in Frisco gesehen», sagte der Mann an der anderen Seite von Andrews. «Wenn man das gesehen hat, hasst man die Hunnen.»
Der Mann am Klavier klimperte mühselig während der Pause zwischen den beiden Teilen des Films. Der Junge aus Indiana beugte sich vor Andrews, legte den Arm um dessen Schulter und sprach den anderen Mann an: «Du bist aus Frisco?»
«Jaa.»
«Das ist richtig komisch. Du kommst von der Küste, der ist aus New York und ich aus Indiana.» «Welche Kompanie?» «Bis jetzt keine.»
«Der und ich machen Innendienst.»
«Mistige Chose... ich heiße Fuselli.» «Ich Chrisfield.» «Ich Andrews.»
«Wie lange dauert es, bis man aus diesem Übungsplatz rauskommt?»
«Weiß nicht. Manche sagen drei Wochen, andere sechs Monate... Vielleicht kommt ihr in unsere Kompanie. Gestern haben sie 'ne Masse versetzt, und der Korporal sagt, dass Neue statt deren kommen werden.»
«Verflucht noch mal! Ich will doch über See gehen.»
«Da drüben ist's fabelhaft!» sagte Fuselli. «Alles ist schön. Pittoresk, wie man sagt, und die Leute gehen in Bauernkleidung herum. Ich hatte einen Onkel, der mir davon erzählt hat. Er kam aus der Nähe von Turin...»
«Wo ist das?»
«Weiß nicht. In Italien.»
«Wie lange dauert die Überfahrt?»
«Na, so eine Woche oder zwei», sagte Andrews.
«So lange?» Doch der Film hatte wieder begonnen. Auf der Leinwand erschienen Soldaten in Pickelhauben, die in kleine belgische Städtchen einmarschierten, wo von Hunden gezogene Milchwagen und alte Frauen in Bauernkleidung zu sehen waren. Man pfiff und johlte, sobald eine deutsche Flagge erschien, und wie die Truppen auf dem Bilde vormarschierten, die Zivilisten in großen, weiten Hosen, alte Frauen in steifen Hauben bajonettierten, stießen die in das stickige Theater gepferchten Soldaten wilde Flüche gegen sie aus. Andrews fühlte, wie ein blinder Hass sich in den jungen Männern um ihn herum regte wie etwas, was ein eigenes Leben besitzt. Er verirrte sich darin, wurde davon weggeschwemmt wie von der wilden Flucht einer erschreckten Viehherde; der Schrecken legte sich wie eine drohende Hand um seinen Hals. Er beobachtete scheu die Gesichter um sich herum. Sie waren alle gespannt und rot und glänzten vor Schweiß in der Hitze des Zimmers.
Beim Verlassen des Raumes hörte Andrews, in einem festgeschlossenen Strom von Soldaten eingepfercht, einen Mann sagen: «Ich habe noch nie in meinem Leben eine Frau vergewaltigt. Aber bei Gott, ich werde es tun. Ich würde die Welt darum geben, ein paar von diesen verdammten deutschen Weibern zu vergewaltigen.»
«Auch ich hasse sie», ertönte eine andere Stimme. «Männer, Frauen, Kinder und Ungeborene.»
«Das sind wirkliche Biester, sich von einer Schar Kriegsherren regieren zu lassen!»
«Ich möchte mal einen solchen deutschen Offizier gefangen nehmen und zwingen, meine Schuhe zu putzen und ihn dann totschießen», sagte Chrisfield zu Andrews, als sie die lange Barackenreihe hinuntergingen.
«Möchtest du wirklich?»
«Ja, aber noch viel lieber würde ich jemand anderes über den Haufen schießen», fuhr Chrisfield scharf fort. «Der ist nicht weit von hier. Und ich werde es auch tun, wenn der noch weiter so auf mir rumreitet.»
«Wer ist denn das?»
«Der lange Laffe Anderson, der denkt, weil ich kleiner bin als er, kann er mit mir alles machen, was er will!»
Andrews wandte sich scharf um und sah in seines Gefährten Gesicht. Irgend etwas in der Raueit der Stimme beunruhigte ihn. Daran war er nicht gewöhnt; er hatte immer geglaubt, er selbst sei ein sehr leidenschaftlicher Mensch. Doch nie hatte er den Wunsch verspürt, einen anderen Menschen zu töten.
«Willst du ihn wirklich töten?»
«Jetzt noch nicht. Aber er macht aus mir einen Teufel, wenn er weiter so mit mir umspringt. Gestern zog ich mein Messer gegen ihn. Du warst nicht da. Bemerktest du nicht, wie aufgeregt ich beim Exerzieren war?»
«Ja, aber wie alt bist du denn, Chris?»
«Zwanzig. Du bist wohl älter?»
«Ich bin zweiundzwanzig.»
Sie lehnten sich gegen die Wand der Baracke und sahen hinauf in die glänzende, sternige Nacht.
«Hör mal, sind die Sterne dort drüben dieselben wie hier?»
«Ich denke schon», sagte Andrews lachend, «obwohl ich mich noch nie davon überzeugt habe.»
«Ich habe in der Schule nicht viel gelernt», fuhr Chris fort. «Ich kam mit zwölf Jahren aus der Schule, weil das nicht viel taugte und mein Alter so trank und man mich auf der Farm zur Arbeit brauchte.»
«Was wird denn bei euch gebaut?»
«Meistens Roggen, ein wenig Weizen und Tabak... Aber ich wollte dir gerade sagen, beinahe hätte ich doch mal einen kaltgemacht.»
«Erzähle mir davon.»
«Ich war damals gerade besoffen. Wir Jungens aus Tallyville waren 'ne schlimme Bande. Arbeiteten immer nur so lange, bis wir was Geld in die Finger bekamen. Dann wurde gespielt und Whisky gesoffen, vor allen Dingen zur Erntezeit. Ich weiß noch nicht mal warum, aber eines Tages kam ich mit einem in Streit, mit dem ich noch bis eben gut Freund gewesen war. Der holte aus und schlug mir in die Fresse. Weiß nicht, was sich dann tat, aber noch ehe ich es wusste, hatte ich 'n Erntemesser in der Hand und ging damit auf ihn los. So ein Messer in den Bauch — das ist allerhand! Viere hielten mich zurück und nahmen mir das Messer weg. Trotzdem habe ich ihm noch ordentlich die Brust blutig gemacht. War zu der Zeit furchtbar besoffen. Dann fiel ich in einen Graben und pennte da bis morgens und kriegte das ganze Haar voll Schlamm... ich rühre jetzt kaum noch einen Tropfen an.»
«So, du willst also schnell nach drüben gehen, Chris, wie ich», sagte Andrews nach langer Pause.
«Diesen Laffen Anderson werde ich in die See stoßen, wenn wir auf demselben Schiff rüberfahren», sagte Chrisfield lachend. Nach einer Pause fügte er hinzu: «Es wäre doch entsetzlich gewesen, hätte ich den Kerl damals kaltgemacht.»

«Das ist 'ne Arbeit, die sich bezahlt macht, Geiger», sagte irgend jemand.
«Stimmt nicht», sagte die melancholische Stimme eines schmächtigen Mannes, der zusammengekauert, das lange Gesicht in die Hände gelegt, dasaß, mit den Ellbogen auf den Knien. «Bringt gerade genug zum Leben.»
Verschiedene Leute hatten sich am Ende der Baracke gruppiert. Die lange Reihe der Schlafstellen, wo hier und da ein Mann schlief, einer sich hastig auszog, wurde von Zeit zu Zeit von schwachen elektrischen Lichtreflexen beleuchtet.
«Du wirst entlassen, nich'?» fragte ein Mann mit starkem Dialekt und dem roten Gesicht eines jovialen Gorilla.
«Ja, Flannagan», sagte der schmächtige Mann traurig.
«Geht's dem nicht dreckig?» fragte eine Stimme aus der Menge.
«Ja», antwortete der schmächtige Mann und sah in die Gesichter um ihn herum aus versunkenen Augen. «Eigentlich sollte ich vierzig Dollar die Woche haben, und hier bekomme ich sieben und bin außerdem in der Armee.»
«Die Armee, die Armee, die demokratische Armee», sang jemand.
«Aber ich will doch nach drüben gehen und mir die Hunnen ansehen», sagte Flannagan, der es recht geschickt verstand, seinen irischen Dialekt in kindlichem Tone vorzubringen.
«Nach drüben», fuhr der schmächtige Mann fort, «wenn ich dorthin hätte gehen können — ich hab' das Zeug für einen guten Spieler in mir.»
«Warum gehst du nicht?» fragte Andrews, der am Rande des Kreises mit Fuselli und Chris stand.
«Sieh mich doch an... Tuberkulös... » sagte der schmächtige Mann.
«Ich kann nicht schnell genug rüberkommen», sagte Flannagan.
«Muss sehr komisch sein, nicht verstehen zu können, was die Leute sagen.»
«Man kann ihnen doch Zeichen machen», sagte Flannagan, «einen Iren kann man überall verstehen. Aber mit den Hunnen braucht man ja nicht zu reden. Dort werde ich ein Geschäft aufmachen. Was meint ihr dazu?»
Alle lachten.
«Ich werde in Berlin ein irisches Haus aufmachen; der König von England wird dort selbst hinkommen und den gottverfluchten Kaiser besoffen machen.»
«Bis dahin wird der Kaiser schon an einem Telegraphenmast baumeln, Flannagan.»
«Sie sollten ihn zu Tode quälen, wie sie es mit Negern tun, wenn man sie unten im Süden lyncht.»
Ein Horn ertönte weit draußen auf dem Exerzierplatz. Alle begaben sich schweißtriefend zu ihren Lagerstellen.
John Andrews wickelte sich sorgfältig in seine Decken ein, in der Hoffnung auf einige ruhige Gedanken vor dem Einschlafen. Er wollte diese Nacht wach liegen und nachdenken, damit er nicht ganz den Faden seines Lebens verlor, das er wieder aufnehmen wollte, an irgendeinem Tag, wenn er hier durchkam. Er schob den Gedanken an den Tod von sich. Der war uninteressant und außerdem gleichgültig. Doch irgendwann einmal würde er wieder Klavierspielen, Musik schreiben wollen. Es wäre schrecklich, in die hilflose Mentalität des Soldaten zu versinken. Man muss seinen Willen stark halten.
Nein, aber das war es ja nicht, an was er denken wollte. Er war so voll von sich selbst. Auf jeden Fall musste er sich selbst vergessen. Immer seit seinem ersten Studienjahr schien es ihm, als ob er nichts getan habe, als an sich selbst denken, über sich selbst sprechen.
Endlich, auf dem tiefsten Grunde der Demütigung, der Sklaverei, war die größte Möglichkeit des Vergessens und des Aufbaues eines neuen Lebens, aus realen Dingen diesmal, aus Arbeit und Kameradschaft und Verachtung; Verachtung, Zynismus, das brauchte er. Eine phantastische Welt war es, in die er plötzlich gefallen war. Sein Leben vorher schien ein Traum aus einem Roman, ein Gemälde, das er in irgendeinem Schaufenster gesehen hatte. Es war so ganz anders; war es wirklich in derselben Welt? Es schien ihm, als sei er gestorben, ohne es zu wissen und neugeboren, in einer neuen, fürchterlichen Hölle.
Als Kind hatte er in einem alten Hause gewohnt, das unter Eichen und Kastanien stand, neben einer Landstraße, wo kleine Karren und Ochsenwagen nur selten vorbeikommen und Spuren im Sande hinterließen. So viele Träume hatte er gehabt unter dem Myrtenbusch am Ende des überwachsenen Gartens; die langen Nachmittage in Virginia, wie waren sie schön. Dort konnte er an die Welt denken, in der er leben werde, wenn er einmal erwachsen wäre.
Er hatte so viele Leben für sich geplant; er wollte General werden wie Caesar, die Welt erobern und in einer großen Marmorhalle ermordet sterben. Er wollte ein wandernder Sänger werden und alle Länder singend durchwandern und viele endlose, verworrene Abenteuer durchmachen; er sah sich als großer Musiker spielend an einem Klavier sitzen, wie Chopin auf dem Bilde, während wunderschöne Frauen weinend saßen und Männer mit langem, lockigem Haar die Gesichter in ihren Händen verbargen. Nur Sklaverei hatte er nicht vorausgesehen. Dazu hatte seine Rasse zu viele Jahrhunderte hindurch geherrscht. Und doch war die Welt nur zusammengesetzt aus Variationen von Sklavereien.
John Andrews lag auf dem Rücken in seinem Lager, während alles um ihn herum schlief und schnarchte in den dunklen
Baracken. Ein dunkler Schrecken hielt ihn gepackt. In einer einzigen Woche war das große Gebäude seiner romantischen Welt voller Farben und Harmonien, das stärker und dauerhafter gewesen war als die Schul- und Universitätszeit und als das Hin- und Hergestoßensein im Kampf um die Existenz in New York, wie Staub in sich zusammengefallen. «Wie dumm», dachte er. «Dies ist doch die Welt, wie sie der Mehrzahl der Menschen erscheint. Dies ist nur der untere Teil der Pyramide.»
Er dachte an seine Freunde, an Fuselli und Chrisfield und den komischen kleinen Kerl, Eisenstein. Die schienen sich zu Hause zu fühlen in diesem Armeeleben. Die schienen durchaus nicht erschreckt zu sein über den Verlust ihrer Freiheit. Denn sie hatten ja auch nie im Glanze jener anderen Welt gelebt. Doch wenn er auch wollte, er konnte keine Verachtung gegen sie fühlen. Er dachte an sie, wie sie unter dem Kommando des Mannes sangen:

«Heil heil, wir sind die Soldaten,
Wir werden uns den Kaiser holen,
Wir werden uns den Kaiser holen,
Wir werden uns den Kaiser holen!»

Er dachte an sich selbst und an Chrisfield, wie sie die abgebrannten Zigaretten aufsammelten und an das endlose Tramp, Tramp der Füße auf dem Exerzierplatz. Wo war die Verbindung? War das alles Irrsinn? Sie kamen aus so verschiedenen Welten, all diese Männer, die um ihn herum schliefen, um in dieser Sache vereinigt zu werden. Was dachten sie darüber, alle diese Schläfer? Hatten nicht auch sie Träume gehabt, als sie Knaben waren? Oder hatte die Generation vor ihnen sie nur für dies vorbereitet?
Er dachte an sich selbst, wie er unter dem Myrtenbusch lag während des heißen, drösenden Nachmittags und die blassen Blumen im trockenen Grase beobachtete, und fühlte, in seine warmen Decken eingehüllt, wieder wie die Glieder sich in dem Wunsche strafften, frei und ohne Zwang durch eine neue, freie, kühne Luft zu stürzen. Plötzlich überdeckte Dunkelheit sein Bewusstsein.
Mit einem Ruck wachte er auf. Das Horn tönte draußen. «Aufstehen!» schrie der Sergeant. Ein neuer Tag.

 

4

Die Sterne standen klar am Himmel, als Fuselli aus den Baracken stolperte, die Augen noch stechend vor Schlaf. Wie kleine, glänzende Flocken zitterten die Sterne in dem Dunkel des Himmels.
«Weiß jemand, wo das elektrische Licht angedreht wird?» fragte der Sergeant gutgelaunt. Das Licht über der Tür der Baracken flammte auf und ließ einen kleinen, rundlichen, lustigen Mann mit kleinem, gelbem Schnurrbart und einer Zigarette, die ihm zum Munde heraushing, sehen. Um ihn herum gruppiert saßen Leute aus der Kompanie, in Mänteln und Mützen.
«Alles in Ordnung. Aufmarschieren, Leute!»
Man sah Fuselli einigermaßen neugierig an, da er gerade die Nacht vorher in diese Kompanie versetzt worden war.
«Achtung!» schrie der Sergeant, dann zog er die Augenbrauen zusammen und starrte lange auf das Stück Papier, das er in der Hand hielt, während die Leute ihn neugierig beobachteten. «Antwortet, wenn euer Name aufgerufen wird... Ansbach!»
«Hier!»
Gleichzeitig konnte man draußen in den anderen Baracken bei anderen Kompanien dasselbe hören. Irgendwo vom Ende der Straße her kamen Hochrufe.
«Nun, Leute, ich kann euch jetzt erzählen», sagte der Sergeant mit einem Ausdruck besonderer Allwissenheit, nachdem er den letzten Namen aufgerufen hatte, «wir gehen hinüber.»
Alles schrie begeistert.
«Haltets Maul! Die Hunnen sollen uns wohl hören, was?»
Die Kompanie lachte, auf dem runden Gesicht des Sergeanten lagerte sich ein breites Grinsen ab.
«Da scheint ihr ja einen ganz anständigen Bonzen zu haben», flüsterte Fuselli seinem Nebenmann zu.
«Da kannst du dich drauf verlassen. Der ist 'ne feine Marke», sagte der andere in einem Tone tiefer Ehrfurcht. «'ne gute Kompanie, kann ich dir sagen.»
Plötzlich erschien der Leutnant in dem Lichtkreis vor den Baracken. Es war ein Junge mit rosigem Gesicht. Sein etwas zu großer Rock war sehr neu und stand ihm steif von den Beinen ab.
«Alles in Ordnung, Sergeant? Alles in Ordnung?» fragte er
verschiedene Male.
«Zu Befehl!» antwortete der Sergeant. «Sehr gut. Werde Ihnen in einer Minute den Marschbefehl mitteilen.»
Gegen Fusellis Ohren schlug eine seltsame Aufregung. Diese Worte klangen sehr geschäftsmäßig. Plötzlich wunderte er sich, wie das sein werde, im Feuer stehen. Erinnerungen an Kinobilder flitzten durch sein Bewusstsein.
«Was bin ich froh, aus diesem Höllenloch fortzukommen!» sagte er zu seinem Nebenmann.
«Das nächste ist vielleicht noch mehr Höllenloch als das hier, Junge», sagte der Sergeant und ging mit wichtigen Schritten auf und ab.
Alle lachten.
«Das ist ein feiner Sergeant, unsrer», sagte der Nebenmann zu Fuselli. «Der hat Grütze im Kopf.»
«Rührt euch!» rief der Sergeant. «Wenn jemand von euch einen Schritt aus den Baracken heraus tut, werde ich ihn in die Küche stecken, bis er im Schlaf Kartoffeln schälen kann.»
Die Kompanie lachte wieder. Fuselli bemerkte, dass der große Mann, dessen Name zuerst aufgerufen worden war, nicht mitlachte, sondern verächtlich ausspie...
«Überall gibt's faule Eier», dachte Fuselli.
Langsam überdeckte graue Dämmerung den Himmel. Fuselli Beine waren müde vom langen Stehen. Draußen vor den Baracken standen, so weit er die Straße hinaufsehen konnte, Männer in aufmarschierten Linien.

Die Sonne stieg auf, heiß, ein wolkenloser Tag. Einige wenige Spatzen zwitscherten über dem Zinndach der Baracken.
«Wir marschieren heute immer noch nicht ab.»
«Warum denn?» fragte jemand wütend.
«Truppen werden immer nachts abtransportiert. Da kommt der Sergeant.»
Alle reckten ihre Hälse in der angedeuteten Richtung. Der Sergeant kam mit einem mysteriösen Lächeln auf den Lippen angetrottet.
«Mäntel ausziehen und Küchengeräte herbei!»
Die Küchengeräte klapperten und glitzerten in den gleißenden Strahlen der Sonne. Sie marschierten zur Küche und wieder zurück, stellten sich in Reih und Glied und begannen wieder
zu warten. Bald wurden sie alle müde und mürrisch. Fuselli hätte gern gewusst, wo seine alten Freunde aus der anderen Kompanie waren. Es waren auch anständige Kerls da, Chris und jener gebildete Mann, Andrews. Dumm, dass sie nicht hatten mitkommen können.
Die Sonne stieg höher, die Leute schlichen sich einer nach dem anderen in die Baracken und legten sich auf ihre Schlafstellen nieder.
«Um was wollt ihr wetten, wir kommen aus diesem Lager nicht vor Ende der Woche raus», sagte jemand.
Nachmittags marschierten sie wieder auf zum Essen, aßen irgend etwas voll Unlust und hastig. Fuselli verließ den Speiseraum und klopfte mit zwei schmutzigen Fingernägeln irgendeinen Marsch auf seinem Geschirr. Da sprach ihn der Korporal leise an: «Vergiss nicht, dein Geschirr zu säubern, Mann. Die Inspektion kommt.»
Der Korporal war ein schmächtiger, gelb gesichtiger Mann mit faltiger Haut, obschon noch jung, und einem Mund, der aussah wie ein Flitzbogen, der sich öffnete und schloss wie die Papiermäuler, die Kinder machen.
«Zu Befehl, Korporal», antwortete Fuselli erfreut. Er wollte einen guten Eindruck machen. — «Die Leute werden auch bald zu mir: Zu Befehl, Korporal sagen», dachte er. Ein Gedanke trieb durch sein Hirn. Der Korporal sah nicht sehr kräftig aus. Der würde drüben wohl nicht lange am Leben bleiben. Und er malte sich schon aus, dass Mabe schreiben werde: «Korporal Dan Fuselli, o. a. r. d. 5.»
Am Spätnachmittag erschien der Leutnant plötzlich, das Gesicht rot vor Aufregung, den Rock steifer als je.
«Sergeant, lassen Sie die Leute aufmarschieren!» sagte er atemlos.
Die ganze Lagerstraße hinunter standen die Kompanien in Marschordnung. Eine nach der anderen marschierten sie ab, in Reihen zu vieren, und machten dann halt mit ihrem Gepäck. Bernsteingelb wurde das Licht des versinkenden Tages. Marschsignale tönten.
Fuselli war plötzlich sehr aktiv geworden. Die Signaltöne und die Kapelle, die die Nationalhymne spielte, senkten sich in sein Bewusstsein und wuchsen zu einem Traum; wie es wohl werden würde dort drüben. Männer mit Pickelhauben, die aussahen wie Feuerwehrleute, waren beim Schießen. Sie sahen aus, wie der Ku-Klux-Klan un Kino, sprangen von ihren Pferden ab, hatten fremde, ausländische Gebärden, steckten Häuser in Brand und spießten Säuglinge auf ihre langen Schwerter. Das waren die Hunnen. Dann Flaggen, die hart im Winde flatterten und Töne von Militärkapellen. Alles verlor sich in einer Szene aus einem Kino, in der Regimenter in Khakiuniform schnell, schnell durch die Szene marschierten. In der Erinnerung an das Geschrei, das immer solche Szenen begleitete, ertrank das Bild. — Die Gewehre hätten doch Lärm machen müssen — fügte er in Nachgedanken hinzu.
«Aa—ch—tung! Vorrwärrts... Marsch!»
Die lange, lange Straße des Lagers war voll marschierender Füße. Abmarsch. Als sie durch das Tor kamen, lief sein Blick an Chris vorbei, der dort stand, mit seinem Arm um Andrews Schultern. Beide winkten sie. Fuselli lächelte und warf die Brust heraus. Die waren noch Rekruten. Er ging über See.
Das Gewicht seines Gepäcks zog ihn an den Schultern und machte seine Füße schwer, als ob er mit Blei beladen sei. Der Schweiß rann seinen kurzgeschorenen Kopf hinunter und strömte in seine Augen und an seiner Nase entlang. Durch die marschierenden Schritte hindurch hörte er wirr «Hoch»-Rufe von den Bürgersteigen her. Vor ihm wurden die Köpfe und das Gepäck immer kleiner, die Straße hinauf. Über ihnen flatterten Fahnen aus den Fenstern langsam hin und her im Dämmerlicht. Doch das Gewicht des Gepäcks drückte mit unausweichlicher Kraft seinen Kopf herab, wie sie weitermarschierten unter den Bogenlampen, die im Dämmerlicht blinkten. Stiefelsohlen und Beine, von Gamaschen umwickelt, und der Gurt des Mannes vor ihm: das war alles, was er sehen konnte. Das Gepäck schien ihm so schwer, als ob es ihn in den Erdboden durch den Asphalt hinein drücken werde, und um ihn herum war das dumpfe Rasseln der Ausrüstungen und das Stampfen marschierender Füße. Alles an ihm war nass vor Schweiß. Ganz vage fühlte er den dampfenden Schweiß, der aus den Reihen angestrengter Körper um ihn herum aufstieg. Bald aber vergaß er alles außer dem Gepäck, das ihn an den Schultern zog, das seine Schenkel, Knöchel und Füße niederlastete, und außer dem monotonen Rhythmus seiner Füße, die auf das Pflaster schlugen und der anderen Füße vor ihm, hinter ihm, neben ihm.
Der Zug roch nach neuen Uniformen, in denen der Schweiß getrocknet war, und nach dem Rauch billiger Zigaretten. Fuselli wurde mit einem Ruck wach. Er hatte mit seinem Kopfe auf Bill Greys Schultern geschlafen. Es war schon taghell. Der Zug ruckte schon langsam über Kreuzungsschienen in irgendeiner Vorstadt mit langen, berußten Warenhäusern und endlosen Reihen von Güterwagen, hinter denen braunes Marschland und schiefergraue Flächen Wassers auftauchten.
«Gott, das ist ja der Atlantische Ozean!» schrie Fuselli voller Aufregung.
«Den hast du wohl noch nicht gesehen? Das ist der Pirth-River», sagte Bill Grey voller Verachtung. «Nee, ich komme von der Westküste.»
Sie steckten ihre Köpfe aus dem Fenster, so dass ihre Gesichter sich berührten.
«Donnerwetter, da sind ja Weiber!» sagte Bill Grey. Der Zug hielt mit einem Ruck. Zwei schlechtgekleidete rothaarige Mädels standen an dem Schienenstrang und winkten mit den Händen.
«Gebt uns 'nen Kuss!» schrie Bill Grey.
«Gern», sagte das eine Mädchen. «Alles für unsere tapferen Jungens!»
Sie stellte sich auf Zehenspitzen, und Grey beugte sich weit aus dem Fenster hinaus und brachte es gerade fertig, die Stirn des Mädchens zu erreichen.
Fuselli fühlte, wie Begierde ihn durchschoss.
«Halt mich am Gürtel fest! Ich werde sie ordentlich küssen!»
Er beugte sich weit hinaus, warf seine Arme um die Schultern des Mädchens, auf denen sich die Haut wie ein Regenschirm spannte, hob sie auf und küsste sie wild auf die Lippen.
«Nich' doch!» schrie das Mädchen.
Soldaten, die aus den anderen Fenstern herausschauten, schrieen und lachten. Fuselli küsste sie noch einmal und ließ sie dann fallen.
«Du bist zu grob, du Hurenkerl, du!»
Ein Mann an einem der anderen Fenster grölte: «Ich sag's meiner Mama!» Alle lachten.
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
Fuselli sah sich stolz um. Das Bild Mabes, die ihm die Fünf-
Pfund-Schachtel Pralinen gab, stieg einen Augenblick in sein Bewusstsein.
— «Macht nichts, so'n kleiner Spaß!» — dachte er laut.
«Warte doch, bis wir in Frankreich sind! Da werden wir uns so 'ne kleine Madmerselle anschaffen!» sagte Bill Grey und schlug Fuselli auf das Knie.

«Oh du schöne Kätie,
Ki — Ki — Kätie!»

Als das Hämmern der Räder auf den Schienen schneller zu werden begann, sangen alle mit. Fuselli sah zufrieden über die Kompanie, die sich auf ihrem Gepäck ausgebreitet hatte im rauchigen Wagen.
«'s ist was Großes, Soldat zu sein», sagte er zu Bill Grey. «Man kann alles tun, was einem beliebt.»

«Das», sagte der Korporal, als die Kompanie ebensolche Baracken wie diejenigen, die sie zwei Tage vorher verlassen hatte, bezog, «ist ein Lager, von dem aus man sich einschifft. Ich würde verteufelt gern wissen, wo wir verladen werden.» Er verzerrte sein Gesicht zu einem Lächeln und rief dann in bekümmertem Ton: «Essen holen!»
Es war abgrunddunkel in diesem Teil des Lagers. Das elektrische Licht warf einen dünnen rötlichen Schein. Fuselli strengte seine Augen an, da er an jedem Ende der Straße eine Werft und die Masten eines Schifies zu sehen erwartete. Die Kompanie marschierte in den Speiseraum, wo irgend etwas Dünnflüssiges in die Essnäpfe hineingeplanscht wurde. Hinter dem Eingang der Küche saßen der joviale Obersergeant, der aussah wie ein Pastor, und der Korporal mit dem Falkengesicht und aßen Beefsteak. Ein schwacher Geruch gebratenen Fleisches zog durch den Essraum und ließ das dünnflüssige, kalte Zeug im Vergleich dazu noch geschmackloser erscheinen.
Fuselli sah voller Neid zur Küche hinüber und dachte an den Tag, an dem er dort drüben sitzen werde. «Ich muss fleißig sein», sagte er ernst zu sich selbst. «Über See, im Feuer, dort werde ich zeigen, was ich wert bin.» Und er sah sich schon selbst einen verwundeten Hauptmann in ein Sanitätszelt zurücktragen, von wilden, bärtigen Männern mit Pickelhauben verfolgt.
Das Klimpern einer Gitarre zog seltsam durch die dunkle Straße des Lagers.
«Da kann einer gut spielen», sagte Bill Grey, der mit den Händen in den Taschen neben Fuselli einherschlenderte.
Sie sahen zur Tür einer der Baracken hinein. Eine Menge Soldaten saßen im Kreis um zwei große Neger, deren schwarze Gesichter und Oberkörper in dem schwachen Licht wie Pech glänzten.
«Sing uns noch eins, Charlie!» sagte irgend jemand. Einer der Neger begann zu singen, während der andere verträumt die Gitarre zupfte.
«Nein, sing uns die <Titanic>!»
Die Gitarre fiel in einen wimmernden Ragtime. Die Stimme des Negers setzte plötzlich ein:

«Dies ist das Lied von der Titanic,
Fahrend über See —»

Die Gitarre tönte weiter. Es war ein Klang in der Stimme des Negers, der das Gespräch plötzlich aufhören ließ. Die Soldaten sahen ihn neugierig an.

«Wie auf den kalten Eisberg die Titanic stieß.
Wie auf den kalten Eisberg die Titanic stieß,
Fahrend über See —»

Seine Stimme klang vertraulich und weich, und die Gitarre summte mit, denselben schluchzenden Ragtime. Zeile für Zeile wuchs die Stimme zu immer größerer Stärke, und die Klänge der Gitarre wurden schneller und schneller.

«Die Titanic sinkt, blau und tief, Sinkt, blau und tief ist die See, Sinkt in die See.
O die Frauen und die Kinder, treibend auf der See,
O die Frauen und die Kinder, treibend auf der See,
Um den kalten Eisberg
Singend <Näher, mein Gott, zu Dir>,
Singend <Näher, mein Gott, zu Dir>,
Näher zu Dir.»

Die Gitarre spielte die Töne des Liedes weiter. Der Neger sang, jede Saite in seiner Kehle straff gespannt. Fast schluchzend.
Ein Mann neben Fuselli spuckte sorgfältig zielend in die Kiste mit Sägestaub in der Mitte des Kreises regungsloser Soldaten. Die Gitarre spielte den Ragtime noch einmal, schnell, fast spottend. Der Neger sang in tiefen, vertraulichen Tönen.

«O die Frauen und die Kinder, sie sanken in die See,
O die Frauen und die Kinder, sie sanken in die See,
Um den kalten Eisberg —»

Noch ehe er geendet hatte, tönte ein Horn in der Feme. Alle zerstreuten sich. Fuselli und Bill Grey gingen schweigend zu ihren Baracken zurück.
«Es muss furchtbar sein, in der See zu ertrinken», sagte Bill Grey, als er sich in seine Tücher einhüllte. «Wenn eines dieser gräulichen U-Boote... »
«Mir sind die ganz egal», sagte Fuselli prahlend. Als er im Bett lag und in die Dunkelheit starrte, ließ kalter Schrecken seine Glieder plötzlich erstarren. Er dachte einen Augenblick daran, zu desertieren, zu behaupten, er sei krank, irgend etwas, was ihn davor bewahrt hätte, den Transport mitzumachen.

O die Frauen und die Kinder, sie sanken in die See,
Um den kalten Eisberg —

Er fühlte schon seinen Körper in eisigem Wasser versinken. «Es ist entsetzlich, einen dort hinüberzuschicken, um zu ertrinken», sagte er zu sich selbst, und er dachte an die bergigen Straßen von San Francisco und an das glühende Abendrot über dem Hafen und an die Schiffe, die durch das «Goldene Tor» hereinkamen. Sein Bewusstsein wurde langsam leer, und er begann zu schlafen.

Die Kolonne sah aus, wie irgendein seltsamer, khakifarbener Teppich, der den Weg, so weit man sehen konnte, bedeckte. In Fusellis Kompanie standen die Leute da, schoben sich von einer Seite auf die andere, um sich ihre Last zu erleichtern und murmelten, es sei eine Hölle, hier warten zu müssen. Bill Grey neben Fuselli stand gebeugt, um sich das Gewicht seines Gepäcks zu erleichtern. Sie befanden sich an einer Wegkreuzung auf etwas erhöhtem Terrain, so dass sie die langen Barackenreihen des Lagers in allen Richtungen sich ausdehnen sehen konnten, in langen, langen Reihen, die nur dann und wann durch ein
graues Exerzierfeld unterbrochen waren. Vor ihnen dehnte sich die Kolonne nach einer letzten Biegung des Weges hin, wo sie auf einem Hügel unter senfbraunen Vorstadthäusern verschwand.
Fuselli war aufgeregt. Er dachte noch immer an die vergangene Nacht, als er dem Sergeanten geholfen hatte, die «eiserne Portion» zu verteilen und Haufen harten Brotes herumgetragen und sorgfältig, ohne einen Fehler, die Rationen abgezählt hatte. Er war so voll des Wunsches, etwas zu tun, zu zeigen, was er wert sei. «Donnerwetter», sagte er zu sich selbst, «dieser Krieg ist eine gute Sache für mich. Im Laden von R. C. Vickers & Cie hätte ich fünf Jahre bleiben können, ohne vorwärts zu kommen, und hier im Heer habe ich eine Gelegenheit, fast alles zu tun.»
Ganz unten am Wegende begann die Kolonne sich in Bewegung zu setzen. Stimmen, die Befehle schrieen, schlugen hart durch die morgendliche Luft. Fusellis Herz hüpfte. Er war stolz auf sich selbst und auf die Kompanie — die beste der ganzen Expedition. Die Kompanie vor ihnen bewegte sich schon. Jetzt war die Reihe an ihnen.
«Vorrwärrts ... Marsch!»
Sie verloren sich in dem monotonen Stampfen der Füße, Staub stieg von der Straße auf, auf der wie ein graubrauner Wurm die Kolonne vorwärts kroch.

Ein widerwärtiger Geruch machte ihnen das Atmen fast unmöglich.
«Schicken sie uns hier hinunter?» «Wäre froh, wenn ich das wüsste.»
Sie stiegen in langen Linien die Leitern hinunter in den entsetzlichen Abgrund: es war das Innere des Schiffes, in das sie verladen werden sollten. Jeder hatte eine blaue Karte mit einer Nummer darauf in der Hand. An einer schummerigen Ecke, wo es aussah wie in einem leeren Warenhaus, stoppten sie. Der Sergeant rief:
«Das werden nun unsere Gräben sein. Müssen mal sehen, was wir daraus machen können.» Dann verschwand er.
Fuselli sah sich um. Er saß auf der niedrigsten von drei Lagen von Bettkästen, die ganz roh aus neuem Fichtenholz gebaut waren. Elektrische Birnen, die hier und da angebracht waren, gaben einen schwachen, roten Schein, nur an den Leitern waren große, hohe Kraftbirnen, die ein helleres Licht ausstrahlten. Der ganze Platz war voll strampelnder Füße; Dröhnen erfüllte den Raum von dem Gepäck, das von den endlosen Reihen von Soldaten, die an jeder Leiter hinunterströmten, auf die Bettkästen geworfen wurde; irgendwo am Ende des Ganges schrie ein Offizier mit schriller Stimme: «Macht schnell, macht schnell!»
Fuselli saß auf seinem Bettkasten, sah sich die erschreckende Konfusion an, war darüber erstaunt und fühlte sich gedemütigt. Wie viele Tage würden sie in diesem dunklen Loche verbringen müssen? Plötzlich fühlte er Wut. Sie hatten kein Recht, einen so zu behandeln. Er war doch ein Mensch, nicht ein Haufen Heu, das man herumrollen konnte, wie es einem beliebt.
«Und wenn wir torpediert werden! Hier unten ersaufen wir wenigstens gründlich», sagte er laut.
«Oben haben sie Wachen aufgestellt, um uns zu hindern, an Deck zu gehen», erwiderte irgend jemand.
«Verflucht noch mal. Sie behandeln einen ja wie Schlachtvieh, das transportiert wird.»
«Du bist ja auch nicht mehr, als Fleisch für ihre Kanonen.»
Ein kleiner Mann, der in einem der oberen Bettkästen lag, sprach plötzlich und zog sein schmutziges Gesicht in einem seltsamen, verbissenen Ausdruck zusammen, als ob die Worte aus ihm herausgebrochen seien, trotz seiner Anstrengung, sie zurückzuhalten. Alle sahen ihn ärgerlich an.
«Diese Drecksau Eisenstein», murmelte jemand.
«Na, bindet doch die Sau draußen vor der Türe fest!» rief Bill Grey gutmütig.
«Dummköpfe!» knurrte Eisenstein, wandte sich herum und vergrub sein Gesicht in den Händen.
«Was, zum Donnerwetter, riecht denn so komisch hier unten?» rief Fuselli.
Fuselli hatte sich lang auf Deck ausgestreckt und den Kopf auf seine gekreuzten Arme gelegt. Wenn er gerade hinauf sah, konnte er den bleifarbigen Mast hin und her fegen sehen, am Himmel voll lichtgrauer und silbriger und grauroter Wolken, die nach den Rändern zu gelb ausliefen. Während er seinen Kopf etwas nach der einen Seite drehte, konnte er Bill Greys schweres, farbloses Gesicht und die dunklen Stoppeln seines unrasierten Kinns und seinen etwas schiefen Mund, aus dem eine Zigarette heraushing, sehen. Überall waren Köpfe und Körper zusammengedrängt; eine Gasse von Khakiüberziehern und Rettungsringen. Und wenn die rollende See das Deck herumwarf, konnte man große grüne, sich bewegende Wellen sehen und einen grau und weiß gestreiften Dampfer und den Horizont, eine schwarze, steife Linie, die hier und da von den Spitzen der Wellen unterbrochen war.
«O Gott, mir ist schlecht», sagte Bill Grey, nahm die Zigarette aus dem Munde und sah sie rachedurstig an.
«Mir würde schon gut sein, wenn hier alles nicht so stinken würde. Dieser Essraum — man kann ja schon das Kotzen kriegen, wenn man daran denkt!»
Fuselli sprach jammernd und beobachtete, wie die Spitze des Mastes sich bewegte, wie ein Bleistift auf Papier schreibend, hin und her über die fleckigen Wolken.
«Wieder Bauchschmerzen?» Ein braunes Mondgesicht mit dicken, schwarzen Augenbrauen und gelocktem Haar über einer Stirn mit vielen horizontalen Falten erhob sich an der anderen Seite von Fuselli.
«Halt die Schnauze!»
«Fühlst dich krank, Junge?» kam die tiefe Stimme wieder, und die dunklen Augenbrauen zogen sich zu einem Ausdruck von Sympathie zusammen.
«Komisch, zu Hause hätte ich schon längst meinen Hinterlader rausgehabt, wenn einer mir gesagt hätte, ich soll die Schnauze halten, Junge.»
«Die Leute aus unserer Kompanie», sagte Fuselli, «sehen aus, als ob sie Angst hätten, geschlagen zu werden. Hast du das schon bemerkt, Meadville?»
«Was erwartest du denn sonst von Leuten, die ihr ganzes Leben in der Stadt verbracht haben und die ein Fass nicht von einer Kanone unterscheiden können und die statt auf Pferden nur auf Besenstielen zu reiten gelernt haben. Ihr seid dazu gemacht, 'ne Schafherde zu werden. Kein Wunder, dass sie euch rumtreiben müssen.» Meadville stand auf, ging mit unsicheren Schritten an die Reling, behielt aber trotzdem, wie er sich durch die auf Deck gelagerten Gruppen hindurchfädelte, noch etwas von dem Gang des Cowboys.
«Ich weiß, was unsere Augen weiß vor Schrecken werden lasst, wenn wir in diesen fauligen Fressraum hinuntergehen», sagte eine nasale Stimme.
Fuselli wandte sich um. Eisenstein saß an dem Platz, den Meadville gerade verlassen hatte. «So, du weißt das?»
«Es ist das System. Man muss die Menschen zu Tieren machen, bevor man sie dazu kriegen kann, so zu handeln. Kennst du Tolstoi?»
«Nee. Ich rate dir aber, vorsichtig zu sein und auf das acht | zu geben, was du sprichst.» Fuselli schraubte seine Stimme zu leiser Vertraulichkeit hinunter.
«Mir wurde von einem erzählt, den sie in Camp Merritt erschossen haben, weil er so sprach.»
«Das ist mir ganz schnuppe...» sagte Eisenstein.
«Ist dir auch schlecht?... Bist du es los geworden, Meadville?»
«Warum, zum Teufel, kämpfen sie ihren Krieg nicht da aus, wo man zu Pferde hinkommen kann!... Das ist mein Platz!»
«Der Platz war frei; ich setzte mich hin», sagte Eisenstein und senkte missmutig den Kopf.
«Ich gebe dir drei Minuten», sagte Meadville, «wenn du bis dahin meinen Platz nicht verlassen hast...» Er reckte seine breiten Schultern.
«Du bist stärker», sagte Eisenstein und schob ab.
«So ohne Gewehr, das ist geradezu zum Kotzen», murmelte Meadville, als er sich wieder auf Deck setzte. «Weißt du, Kerl, ich habe fast geheult, als man mich in diese verfluchte Sanitätstruppe steckte. Ich wurde für die Tanks ausgehoben. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich kein Gewehr in der Pfote habe. Ich glaube fast, ich hatte eins in meiner Wiege.»
«Das ist aber komisch», sagte Fuselli.
Der Sergeant erschien plötzlich in der Mitte der Gruppe mit rotem Gesicht:
«Kerls», sagte er leise, «macht dass ihr runter kommt, so schnell wie möglich und bringt eure Betten in Ordnung. Inspektion!»
Sie marschierten die Planken hinunter in das faulig riechende Loch, wo kein Licht war außer dem unregelmäßigen rötlichen Schein elektrischer Lämpchen. Sie hatten fast ihre Bettstellen erreicht, als irgend jemand «Achtung!» rief.
Drei Offiziere stolzierten vorbei mit festem, wichtigtuerischem Schritt, der von dem Rollen des Schiffes des Öfteren gestört wurde. Sie steckten ihre Köpfe vor und inspizierten die Bettkästen mit dem grausam forschenden Blick von Hennen, die nach Würmern ausschauen.

«Fuselli», sagte der Obersergeant, «bring mir das Instruktionsbuch in mein Kabinett. 213 auf dem unteren Deck.» «Zu Befehl», sagte Fuselli schnell.
Er bewunderte den Obersergeanten sehr und wünschte sich, seine joviale, befehlshaberische Art nachmachen zu können.
Es war das erste Mal, dass er sich im oberen Teil des Schiffes befand. Es schien eine andere Welt. Die langen Korridore mit roten Teppichen, der weiße Lack, das schöne Gesims an den Querwänden, die Offiziere, die nach Beheben hin und her gingen — all das ließ ihn an die großen Dampfer denken, die er zu beobachten pflegte, wenn sie durch das «Goldene Tor» hereinkamen, jene Dampfer, auf denen er nach Europa fahren wollte, wenn er reich sein würde.
Oh, wenn er nur Sergeant erster Klasse wäre! Dann würde all dieser Komfort, all diese Schönheit ihm gehören.
Er fand die Nummer und klopfte an die Tür. Lachen und lautes Sprechen kam aus der Kabine.
«Wart'n Augenblick!» rief eine unfreundliche Stimme.
«Sergeant Olster hier?»
«Das ist einer meiner Leute», hörte er die Stimme des Sergeanten. «Wollen ihn reinlassen. Der wird uns nicht verpetzen.»
Die Tür öffnete sich, und er sah den Sergeanten Olster und zwei andere junge Männer, die ihre Beine über die rotlackierten Bettstellen heraushängen ließen. Sie unterhielten sich angeregt und hielten Gläser in den Händen.
«Paris, das ist 'ne Stadt. Ich sage dir», sprach einer. «Die Mädels sollen sich einem da einfach auf der Hauptstraße an den Hals werfen!»
«Hier sind die Instruktionen, Sergeant», sagte Fuselli steif in bester militärischer Haltung.
«Danke. Ich brauche nichts weiter», sagte der Sergeant.
Seine Stimme war jovialer denn je. «Fall nicht über Bord, wie der Mann aus der Kompanie C.»
Fuselli lachte, als er die Tür schloss, wurde aber plötzlich ernst, als er daran dachte, dass einer der jungen Männer auf seinem Hemd das Abzeichen der Unterleutnants trug. «Donnerwetter», sagte er zu sich selbst, «ich hätte grüßen sollen.»
Er wartete einen Augenblick draußen vor der verschlossenen Tür, horchte auf das Spiel und das Gelächter und wünschte, er gehörte zu dieser fröhlichen Gruppe, die über Weiber in Paris spricht. Er begann zu denken: «Sobald wir drüben sind, werde ich sicher Gefreiter, dann, in einigen Monaten, kann ich Korporal sein. Gibt es viel Dienst, werde ich noch schneller vorwärts kommen.»
«Ich darf keine Dummheiten machen, ich darf keine Dummheiten machen», sagte er zu sich selbst, als er die Leiter hinunterstieg. Und er vergaß wieder alles über der Seekrankheit, die in ihm aufkroch, als er die fette Luft wieder atmete.
Das Deck glitt jetzt plötzlich vor ihm ab, dann stieg es wieder auf, als ob er einen Berg hinaufstiege. Schmutziges Wasser schlammte von der einen Seite zur anderen bei jeder Bewegung des Schiffes. Als er die Tür erreichte, ließ das pfeifende Geheul des Windes durch die Masten Fuselli einen Augenblick mit der Hand am Türgriff zögern. Als er den Griff hinunterdrückte, flog die Tür auf, und er stand in der vollen Wucht des Windes. Das Deck war leer. Die nassen Taue zitterten unwillig im Winde.
Jeden Augenblick spritzte der Schaum, der in weißen, fransigen Säulen mit dem Winde aufstieg, ihm wie Hagel ins Gesicht. Ohne die Tür zu schließen, kroch er auf dem Deck vorwärts und klammerte sich so fest er konnte an dem eisigen Tau fest. Durch den Schaum hindurch konnte er ungeheure marmorgrüne Wellen sehen, die in unaufhörlicher Folge im Nebel anschwollen. Das Brüllen des Windes in seinen Ohren verwirrte und erschreckte ihn. Es kam ihm vor, als vergingen Jahre, bevor er die Kabuse erreichte, die auf einen Durchgang führte, der nach Medizin roch und wo Männer, die von den Schwingungen des Schiffes gegeneinander geschleudert wurden, warteten, um in eine Apotheke zu kommen. Das Heulen des Windes kam hier nur schwach herein, und nur dann und wann der dumpfe Schlag einer Welle gegen das Schiff.
«Bist du krank?» fragte ein Mann Fuselli.
«Nee, ich bin nicht krank. Der Sergeant hat mich geschickt, um was Zeugs für ein paar Leute zu holen, die zu krank sind, um sich zu bewegen.»
«Furchtbar viel Krankheit auf dem Schiff. Zwei sind heute morgen gestorben, da drüben in dem Zimmer», sagte ein anderer feierlich und zeigte mit dem Daumen über die Schulter.
«Sind noch nicht begraben. Das Wetter ist zu rau.»
«Woran starben sie?» fragte Fuselli eifrig.
«Irgend was am Rückenmark.»
«Genickstarre», fiel ein Mann am anderen Ende der Reihe ein. «Wo fängt es an?» fragte Fuselli.
«Der Nacken wird dick, dann wird man ganz steif», kam die Stimme des Mannes vom anderen Ende der Reihe. Es trat Schweigen ein.
Aus der Richtung der Krankenstube kam ein Mann mit einem Paket Medikamente in der Hand und schob sich zur Tür durch.
«Sind viele da drinnen?» fragte Fuselli leise, als der Mann sich an ihm vorbei drängte.
Die Worte des Mannes verschlang der schrille Stoß des Windes, als er die Tür öffnete.
Als die Tür wieder geschlossen war, brach es aus dem Mann neben Fuselli, dem Großen, Breitschulterigen mit den schweren schwarzen Augenbrauen, als ob er irgendetwas sagte, was er lange zurückgehalten hatte:
«Diese Krankheit darf mich nicht packen. Sie darf nicht... Ich habe ein Mädel, das auf mich zu Hause wartet. Zwei Jahre habe ich ihretwegen keine Frau angerührt. Unnatürlich, so lange...»
«Warum hast du sie denn nicht vorher geheiratet?» fragte der Vormann höhnend.
«Sie sagte, sie will keine Kriegerbraut sein, weil sie so besser auf mich warten könne.»
Einige lachten.
«Ich darf nicht krank werden und sterben. So lange habe ich mich wegen diesem Mädel sauber gehalten. Ich darf nicht», sagte der Mann zu Fuselli.
Fuselli sah sich schon im Bett mit geschwollenem Nacken liegen, während Arme und Beine steif wurden, immer steifer.
Ein rotgesichtiger Mann im Gang begann zu sprechen:
«Wenn ich daran denke, wie die Leute zu Hause mich brauchen, spüre ich keine Angst. Weiß nicht, warum.» Er lachte jovial.
Keiner stimmte in das Lachen ein.
«Ist es sehr ansteckend?» fragte Fuselli den Mann neben ihm.
«Sehr ansteckend», antwortete der feierlich.
«Das Fürchterlichste daran ist», sagte ein anderer mit schriller, hysterischer Stimme, «den Haien hinunter zum Fraß vorgeworfen zu werden. Sie haben kein Recht, so was zu tun, auch in Kriegszeiten nicht. Sie dürfen einen Christenmenschen nicht wie einen toten Hund behandeln.»
«Sie können alles tun, was ihnen behebt, mein Lieber. Wer soll sie wohl daran hindern», schrie der Rotgesichtige.
«Wenn's ein Offizier wäre, würden sie ihn nicht so hinüberschmeißen», kam die schrille, hysterische Stimme wieder.
«Halt die Schnauze!» sagte jemand. «Mach keine Dummheiten!»
«Sag mal, ist das nicht gefährlich, hier oben so lange zu warten, wo die Kerls krank liegen», flüsterte Fuselli zu dem Mann neben ihm.
«Glaub' schon, mein Junge», kam die Stimme des anderen.
Fuselli schob sich türwärts durch. «Lasst mich raus, Kerls, ich muss kotzen», sagte er. «Ich werde ihnen sagen», dachte er, «dass es hier verschlossen war. Die werden nie herkommen, um zu kontrollieren.»
Wie er die Tür öffnete, dachte er: ich werde jetzt zurück zu meinem Bettkasten kriechen. Er fühlte seinen Nacken schon anschwellen und seine Hände vor Fieber brennen, Arme und Beine steif werden, bis alles ausgelöscht sein würde im Schwarz des Todes.
Doch das Schreien des Windes und der spritzende Schaum auf dem Deck ertränkten jeden anderen Gedanken.

Fuselli und ein anderer Mann trugen den Abfalleimer die Treppe hinauf. Er roch nach ranzigem Fett und Kaffeesatz und unreinen Saucen, die ihnen über die Finger liefen, wie sie sich hinaufkämpften. Endlich wurden sie auf Deck hinaufgeschleudert, wo ein freier Wind aus schwarzer Nacht blies. Sie schwankten an die Reling und leerten den Eimer in die Dunkelheit. Das Geräusch des fallenden Inhalts verlor sich im Klatschen der Wellen und im Rauschen des Wassers, das an den Seiten des Schiffes entlang floss. Fuselli lehnte sich hinüber und sah in die schwache Phosphoreszenz hinein, die das einzige Licht in dem ganzen schwarzen Golf war. Nie noch hatte er eine solche Dunkelheit gesehen. Er klammerte sich mit beiden Händen an die Reling an, fühlte sich ganz verloren und erschreckt in der Dunkelheit, in dem Heulen des Windes in seinen Ohren und dem Geräusch des Wassers, das am Schiff entlang schäumte.
Von unten kam der üble Geruch des unteren Decks.
«Ich werde das Dings schon runterbringen, brauchst dich nicht drum zu kümmern», sagte er zu dem anderen Mann, gab dem Eimer einen Tritt, so dass ein klingender Laut entstand.
Er strengte seine Augen an, um etwas sehen zu können. Die Dunkelheit schien sich in seine Augäpfel hineinzufressen und ihn blind zu machen. Plötzlich hörte er Stimmen neben sich. Zwei Männer sprachen miteinander.
«Ich kannte die See früher nicht, ich wusste nicht, dass sie so ist...»
«Wir sind jetzt in der gefährlichen Zone...» «Wir können also jede Minute hinunterrutschen.» «Jaaa.»
«Mensch, wie schwarz ist das... 's wäre schrecklich, in solcher Dunkelheit ertrinken zu müssen.» «'s würde bald vorbei sein.»
«Sag, Fred, hast da je so 'ne Angst gehabt, dass...?» «Hast du Angst?»
«Fühl meine Hand, Fred... Nein... Hier ist sie... Gott, es ist so schwarz, dass man seine eigene Hand nicht sehen kann.»
«Es ist kalt. Warum zitterst du so? Gott, ich möchte was zu trinken haben.»
«Kannte die See noch nicht, wusste nicht, wie sie ist.»
Fuselli hörte deutlich, wie die Zähne des Mannes gegeneinander klapperten in der Dunkelheit.
«Nimm dich zusammen, Mensch. Man darf nicht solche Angst haben.»
Lange Pause. Fuselli hörte nichts, als das schäumende Wasser, das am Schiff entlang strich, und den brüllenden Wind...
«Kannte die See noch nicht, Fred, und die Krankheit und all das andere kann einen schon mürbe machen... Gestern haben sie drei über Bord geworfen.»
«Denk doch nicht daran, Mensch!»
«Sag, Fred, wenn ich... wenn ich... Wenn du gerettet wirst und ich nicht, wirst du es meinen Leuten mitteilen?»
«Natürlich. Aber ich glaube, wir werden dann beide zusammen ersaufen.»
«Sag das nicht. Und vergiss nicht, dem Mädel zu schreiben, deren Adresse ich dir gab...» «Du wirst dasselbe für mich tun!»
«O nein, Fred, ich werde nie wieder an Land kommen... Hat keinen Sinn. Ich fühl' mich doch so kräftig... Und ich will nicht sterben, ich kann nicht so sterben!»
«Wenn es nur nicht so dunkel, so schwarz wäre!»

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